Verein Forschungsgruppe
Kreativwerkstatt

Wir erforschen die Gesellschaft ausgehend von Behinderungserfahrungen

Mein nicht sprechen können

Mein nicht sprechen können und mein nicht mehr den Blickkontakt halten zu können, sind die nach aussen am meisten sichtbaren »Behinderungen«, wenn es mir nicht gut geht.

Es ist für mich sehr schwierig, wenn ich nicht mehr sprechen kann.
Jeglicher spontane Kontakt ist so unterbrochen.
Für mich ist es dann eine Erleichterung, wenn ich auf dem Compi schreiben kann.
Da kann ich sehr rasch reagieren.
So halte ich in der Klinik den Kontakt zu meiner Bezugsperson offen.

Eigentlich ist rasch gesagt, was mich am Sprechen hindert.
Ich werde so sehr von Stimmen gepeinigt, dass mir meine Worte im Kopf verhallen.
Ich möchte gegen die Stimmen anschreien, doch ich habe gegen sie keine Chance.
Wenn ich wieder sprechen kann, ist es am Anfang ein um Worte ringen.
Ein die Stimmen immer mehr zu bodigen.
Das Ganze ist ein Kampf.
Ich bin dann sehr verzweifelt und hilflos.

Mein Morgen

Am Morgen stehe ich entweder um 4.32 Uhr oder 5.05 Uhr auf. Wenn ich mich relativ sicher fühle stehe ich um 5.05 auf, wenn nicht um 04.32.

Wenn ich noch schlaftrunken im Bett liege, checke ich meinen ganzen Körper ab, ob ich nicht Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Bauchschmerzen oder was auch immer weh tun kann, weh tut, um einen Grund zu haben, mich umzudrehen und meinem Körper noch eine Portion Schlaf zu gönnen. In 99% der Fälle schmerzt mein Körper nirgends, also heisst es aufstehen!

Dann verrichte ich meine morgendliche Ämtli, ich lebe in einem Wohnheim. Zeitungen holen, Kaffeemaschine starten, Küchentücher wechseln, Kaffeemaschine innen mit Tablette und äusserlich reinigen, Kaffee auffüllen und morgen essen. Dann bin ich mit dem allem fertig und ich selber fix und fertig! Anschliessend wieder rauf in mein Zimmer, Zähneputzen. Und danach beginnt der Tanz, meine Sachen zu packen, die ich mitnehmen muss: Schlüssel für die Werkstatt, Ausweise, Handy, z’Nüni, brauche ich Geld? Keines, also nehme ich auch kein Geld mit.

Um 06.40 Uhr warte ich vor dem Teambüro, um um 07.00 Uhr meine Medikamente zu beziehen. Nun raus und zum Autobus. Mehr oder weniger häufig schaffe ich es nicht bis zur Busstation und renne ins sichere Wohnheim zurück, wie von einer Tarantel gestochen.

MEIN MORGEN

Das Seilziehen zwischen IV-Rentner*innen und Ämtern

Menschen, die bei Sozialämtern für eine IV-Rente angemeldet sind, fühlen sich oft hängen gelassen. Dies trifft besonders auf sensible Menschen, die in eine existentielle Krise geraten sind, zu. Die Zusage für die IV-Rente ist sicherlich eine befreiende Aussicht, jedoch kann es sehr lange dauern, bis diese auch tatsächlich ausbezahlt wird. Manche/r weiss nicht, was er/sie in den nächsten Stunden tun kann um zu überleben. Das Taggeld, das als Überbrückung bis zur Ausbezahlung des Renten-Geldes, zur Deckung der Lebenskosten reichen sollte, ist oft sehr knapp bemessen. Manche Menschen in so einer schwierigen Zeit haben das Glück, von Verwandten unterstützt zu werden. Andere müssen alles Menschenmögliche unternehmen, um sich über Wasser halten zu können. Die Ausbezahlung der IV-Rente gleicht für viele Betroffene einem Lottospiel. Nicht jede/r erhält eine und in manchen Fällen reicht die Rente auch nicht für das Minimum der Lebenskosten aus.

IV-Rentner*innen sind nicht schuld an ihrer Lage. Die erhöhte Geschwindigkeit der Arbeitsleistung lassen Menschen depressiv werden. Andere, deren Beruf starke körperliche Belastung mit sich bringt, müssen sich anderweitig um eine Tätigkeit umschauen, wenn ihr Rücken oder ihre Knie der Belastung nicht mehr standhalten. Durch eine körperliche oder psychische Erkrankung können die Menschen nicht mehr an ihrem gewohnten Platz arbeiten. Die Gesetze schreiben aber sehr genau vor, welche Möglichkeiten ein Mensch hat. Manchmal erscheint die Chance, von der IV zu einem Beruf der einigermassen den Erwartungen des Bittstellers entspricht, ganz klein. Mitarbeiter*innen der IV-Stellen kennen äusserst selten die Ängste, Sorgen oder Befürchtungen jener Menschen, denen das Schicksal von einem auf den anderen Tag eine ungewisse Zukunft vor die Füsse wirft. Kommt ein Mensch zu einer beruflichen Abklärung in einer IV-Stelle, so wird er an eine Institution verwiesen, in welcher er etwa zwei Monate bleiben kann. Was danach kommt, liegt meist im Nebel. Manchmal erscheint dieses Schweigen der Ämter gegenüber der/m Bittsteller*in als Gleichgültigkeit. Diese Tatsache scheint Kälte auszustrahlen. Von Seiten der IV-Stelle gibt es klare Richtlinien, welche Möglichkeiten für einen Menschen zur Verfügung stehen, welche Gesetze in welchen „Fällen“ gelten. Die Gesetze sind nicht für den Menschen gemacht. Die Gesetze sind eher gemacht, um Geld sparen zu können. Die Menschen fühlen sich bestraft, obwohl sie ja eher unschuldig „zwischen den Stühlen“ zu sitzen gekommen sind. Es gibt aber auch Institutionen und Betreuer*innen, die manchen Menschen begleiten, Zuspruch geben und Unterstützung anbieten. So fühlt sich ein Mensch, dessen Leben umgekrempelt wurde, dann oftmals doch in einem Auffangnetz, in dem er sich neu orientieren kann.

„Wir sind nicht für Sie zuständig“

So mancher Mensch, der auf ein Amt geht, hört diese Aussage. Aus der Sicht der Mitarbeitenden eines Amtes ist dieser Satz gar nicht falsch. Für eine gewisse Sachlage braucht es in manchem Fall ein ganz spezielles Amt. Die Zuständigkeit wechselt manchmal, ebenso die Personen, die auf einem Amt arbeiten.

Mancher Mensch hängt über einem Abgrund, oder klammert sich an einen Strohhalm, an die Hoffnung, auf eine klare Hilfeleistung. Sehr selten kennen die Mitarbeiter*innen eines Amtes die Situation der Bittstellenden. Hineinsehen in den Menschen kann niemand. Deshalb kann ein Mensch, der täglich auf einem Amt arbeitet, nicht nachvollziehen, wie diese kalte Aussage auf das Gegenüber wirkt. Für manchen Menschen kann es schwierig sein, die nächsten Augenblicke auszuhalten, da das Leben manchmal so gar keinen Sinn ergibt und dieser an manchen Tagen sehr kraftraubend errungen werden muss.

Die Welten der Ämter und der Bittsteller sind so verschieden wie Tag und Nacht. Die Welt der einen ist für die anderen so unverständlich wie für einen Touristen, der ein fremdes Land besucht, der wie in Babel die Sprache nicht versteht, oder wie ein Ochse vor dem Berge steht. Hier soll keine Schuldzuweisung geschehen. Ämter haben ihre Gesetze und die Mitarbeitenden müssen sich danach richten. Diese Gesetze sind aber in so manchen Momenten völlig lebensfeindlich und wirken für Betroffene völlig unverständlich. Die Gesetze sind nicht für den Menschen gemacht, sondern der Mensch muss sich den Gesetzen unterordnen. In so manchen Augenblicken aber kann auch ein mitfühlendes Wort oder eine klare weiterführende Antwort für den nächsten Moment Boden und Sicherheit geben.

„Wenn sie nur wollte, dann könnte sie“

Diesen Satz bekommt so manche/r IV-Rentner*in zu hören, dem/r das Leben hart mitgespielt hat. Psychisch kranken Menschen sieht man ihre Erkrankung, ihre „Behinderung“ nicht von aussen an. Ein Rollstuhlfahrer hat sozusagen das Glück, dass seine Einschränkung von aussen zu sehen ist. IV-Rentner*innen sind teilweise täglich mit Vorurteilen konfrontiert. Haben sie nicht das Glück, an einem Arbeitsplatz zu sein, an dem ihnen Verständnis entgegengebracht wird, dann kämpfen sie nicht nur mit den Dämonen, die sich in Ängsten und Depressionen zeigen, sondern auch mit der Kälte der Atmosphäre, die ihnen aus Unverständnis und Geringschätzung entgegen strömt. Die hohe Geschwindigkeit an manchen Arbeitsplätzen und die zusätzliche Belastung aufgrund von Einsparungen beim Personal bringen diesen Grenzgänger*innen viel zu hohe Erwartungen entgegen. Viele Menschen mit einer psychischen Behinderung müssen täglich Medikamente nehmen, um den Alltag überhaupt zu bewältigen, um die Angstzustände einzudämmen und die Depressionen zu lindern. Die Medikamente haben aber nicht nur positive Auswirkungen, sondern leider auch viele Nebenwirkungen. So fühlen sich nicht wenige Menschen durch unliebsame Nebenwirkungen wie in einem Bunker, oder nehmen die Welt wie hinter einem zugezogenen Vorhang wahr. Sie können den oft viel zu hohen Erwartungen gar nicht entsprechen. Dieses Bewusstsein geht an diesen Menschen nicht vorbei. So ist bei einigen Menschen sogar schon am Morgen das Aufstehen eine Hürde, eine Qual. Sie müssen an einen Arbeitsplatz gehen, an dem sie mit Ablehnung konfrontiert werden. Diese Dämpfung der Reaktion bei Arbeit, Gespräch und anderen Alltagshandlungen erschwert das Leben zusätzlich. Die Angst vor diesen Stolpersteinen liegt wie ein Fels vor dem Arbeitstag. Diese Schwierigkeiten, die täglich lauern, sind unsichtbar. Die Betroffenen leben oft in mehreren Welten gleichzeitig und sehr oft nach eigenen Gesetzen. Nicht selten leben sie auch mit dem Gefühl, an ihrem Schicksal schuldig zu sein. In der Arbeitswelt ist es aber leider oft eine Seltenheit, dass Personen mit Wohlwollen und Verständnis dem/der IV-Rentner*in entgegenkommen. Manche Betroffene haben das Glück, einen Ort zu finden, an dem sie ihre Phantasien ausleben und ihre Ängste und Stolpersteine durch klare Struktur und angemessene Arbeit bewältigen und somit Sinn finden können. Leider aber sind viele Menschen auf das Glück angewiesen, Weggefährten zu finden, die sie auf der einen oder anderen Etappe ihres Lebensweges begleiten.

Interview mit ZA von Christine Kuhn

Mittwoch, 7. Januar 2015

Thema: Abklärung in der Kreativwerkstatt – Erleben der Begleitung der IV

1. Auf welche Weise bist du zur IV gekommen?

Nach der Schule habe ich viel studiert, habe verschiedene Studiengänge belegt.

Als letztes habe ich Jura (Rechtswissenschaften) studiert. Da habe ich nur 1 Semester gemacht, danach ging es mir psychisch nicht gut. Ich bin zum Arzt gegangen, der hat mich an eine psychologische Beratung verwiesen. Dort haben sie gemerkt, dass ich viel studiert habe, aber Mühe mit der Berufswahl hatte. Ich war in der „UPK“ in der ambulanten Beratung. Dort hat eine Sozialberaterin, die mit der „UPK“ zusammenarbeitet, mit mir gemeinsam ein Formular ausgefüllt und mich darauf vorbereitet, was auf mich zukommt, wenn ich mit der IV-Stelle zu tun habe.

Für die berufliche Integration war vor allem der Lebenslauf wichtig, weitere Ausbildungen und Studiengänge. Ich wurde bei der IV-Stelle angemeldet, hatte ein Vorstellungsgespräch Innerhalb einer Gruppe von Fachpersonen der IV-Stelle. Von da an war der Weg für eine berufliche Integration geebnet. Eine Verfügung der IV-Stelle zur Abklärung ist immer über einen Zeitraum von 3 Monaten.

2. Wie hast du die Mitarbeiter*innen der IV-Stelle in ihrer Begleitung erlebt? Hast du dich als Mensch verstanden gefühlt?

Es war für mich sehr schwierig und ist immer noch schwierig. Mein Ziel als Mensch ist es, unbedingt im Bereich der sozialen Arbeit als Sozialpädagogin oder Ergotherapeutin zu arbeiten.

Die IV-Stelle verbietet mir das aufgrund meines Befindens, weil sie vielen Menschen Arbeit im Sozialbereich angeboten haben und die Erfahrung gemacht haben, dass die Menschen die Arbeit wieder abgebrochen haben oder zurückgefallen sind. Sie haben mir aber die Hoffnung gemacht, Arbeitstraining in der Kreativwerkstatt zu machen, da das Gesamtbetrieb die idealste Institution für Abklärungen ist. Sie sagten: sie wollten schauen ob ich fähig bin im sozialen Bereich zu arbeiten. Von M erhalte ich gute Rückmeldungen über meine Arbeit in der Kreativwerkstatt. Auch vor der IV-Stelle gibt M gute Rückmeldungen über mich. Der Arzt der IV-Stelle aber verbietet mir das, obwohl er mich noch nie gesehen hat. Er schaut nur meine Akten an. Die Berufsberaterin sagt: Wir wollen, dass sie einen Beruf machen, wo Sie mit Herzblut dabei sind, trotzdem schlagen sie mir die Türe zu. Ich darf keinen Helferberuf machen und ich darf keinen Kundenkontakt haben. Ich laufe die ganze Zeit im Kreis. Der Arzt trifft die Entscheidung, also sind der Berufsberaterin die Hände gebunden, obwohl sie mir Verständnis entgegenbringt. Bei der Berufsberatung haben sie Tests gemacht über Konzentration, Intelligenz und Interessen. Dabei kam heraus, dass bei mir alles in die Richtung von kreativer, sozialer, psychologischer Ausbildung geht. Sie haben mir Hoffnung gemacht. Bei der nächsten Sitzung der IV-Stelle haben sie mir klar gesagt, dass ich in dieser Richtung keinesfalls weitergehen könne. Ich stand wie im Dunkeln da und war verwirrt. Ich habe kein menschliches Mitfühlen erlebt, kein Verständnis in Krisen. M hat sich sehr für mich eingesetzt, aber sie ist gar nicht ernst genommen worden.

3. Wie erlebst du den Unterschied zwischen den Studiengängen und dem Umgang mit Menschen in der Werkstatt?

Ich finde es recht faszinierend. Bis jetzt habe ich 2 Jahre Psychologie studiert.

Ich habe viel Theoretisches gelernt. Dabei lernt man nichts von Erfahrung, von Menschenkenntnis. Alles ist nur theoretische Psychologie. Nun habe ich so viel Menschenkenntnis erhalten, habe Paralleles zu meinem Studium gefunden.

Ich habe hier sehr viel gelernt. Der Aufenthalt hier hat mir sehr gut getan, es war eine sehr wertvolle Zeit. Die Leute nehmen mich sehr herzlich auf. Ich habe schon früher an sozialpädagogische Arbeit gedacht, jetzt finde ich dies bestätigt.

4. Wie fühlst du dich in der Kreativwerkstatt?

Bei den „MmR“ fühle ich mich sehr wohl, ich fühle mich ernst genommen. Auf sozialpädagogischer Ebene lernt man, wie man mit Leuten umgeht. Bei den „MmR“ lerne ich Herzlichkeit. Ich finde es schön, ich habe bis jetzt Harmonie erlebt. Ich finde es schön, wie MmR mit einander umgehen.

5. Wie geht es dir mit dem Vertrauen, dass ein neuer Weg entsteht und wie ist die Bereitschaft der IV-Stelle, diesen zu begleiten?

Hier im Betrieb habe ich einen „Casemanager“. Er arbeitet mit der IV-Stelle zusammen. Wenn etwas ist, kann ich mich beim „Casemanager“ melden.

Wenn ich mit der IV-Stelle direkt Kontakt haben möchte, schreibe ich ein Mail oder telefoniere. Die IV-Stelle wollte mich nach 3 Monaten in ein Altersheim versetzen, in einer Cafeteria sollte ein Stresstraining gemacht werden. Sie wollten sehen, ob ich das lebendige Treiben an diesem Ort aushalte.

Ich persönlich habe gefunden, ich bin noch nicht so weit.

Der „Casemanager“ hat mich ernst genommen.

Den einzigen Weg, den die IV-Stelle akzeptiert, ist eine kaufmännische Ausbildung. Ich habe mich selber für diese Ausbildung entschieden. Die IV-Stelle unterstützt diesen Weg, weil damit kein Kundenkontakt verbunden ist. Für mich ist diese Ausbildung denkbar, weil ich gerne administrativ, organisatorisch arbeite. Ich habe die Matura, so kann ich die verkürzte kaufmännische Ausbildung von 2 Jahren machen. Vorerst werde ich, nachdem meine Zeit hier zu Ende ist, an drei verschiedenen Orten im kaufmännischen Bereich schnuppern. 3 Monate werde ich in der „Reha Chrischona“ sein und ich werde dort Büroarbeiten machen. Ich persönlich würde es zu früh finden, jetzt schon eine sozialpädagogische Ausbildung zu machen. Deshalb habe ich diesen Kompromiss gemacht. Bis zum Ende der kaufmännischen Ausbildung werde ich noch von der IV-Stelle begleitet. Danach stehe ich auf eigenen Füssen und kann die Ausbildung machen, bei der ich mit Herzblut dabei sein kann. So habe ich meinen Frieden gefunden. 

Interview mit VB von Christine Kuhn

27. April 2016
10.00 Uhr

Thema: Berufliche Massnahme in der Weberei

1. Du bist in einer beruflichen Massnahme – wie bist du zu uns gekommen?

Ich bin über die IV-Stelle in die Kreativwerkstatt gekommen. Es gibt verschiedene Institutionen, die über diese Stelle angefragt werden. 

2. Hast du früher einen Beruf erlernt?

Ja, ich war Kleinkindererzieherin.

3. Was ist geschehen, dass eine berufliche Massnahme notwendig war?

Im Dezember 2013 bin ich krank geworden. Die Situation im Beruf war schlimm geworden, es hat mich psychisch krank werden lassen. Mein Gedächtnis war weg – ich vergass alles. Ich merke dies auch heute noch, aber es ist bei weitem nicht mehr so schlimm wie damals. Heute ist es nur in sehr abgeschwächter Form da.

Mein Arzt hatte mich krankgeschrieben und durch das Geschäft wurde ich bei der Taggeldversicherung angemeldet. Nach 3 Monaten nahm die IV-Stelle mit mir Kontakt auf und wir machten den ersten Termin für ein Gespräch ab. Ich habe ihnen erzählt, dass ich im Alltag übe um mein Gedächtnis wieder zu erhalten und das ich es versuche zu trainieren. Ich sagte auch, dass ich gemerkt habe, dass ich Arbeit für das Gehirn brauche. Ich habe damals Freiwilligenarbeit gemacht in der Cafeteria in einem Altersheim. In diesem Gespräch mit der IV-Stelle kam heraus, dass ich diese Arbeit nicht mehr machen durfte, obwohl ich mich dort wohl gefühlt hätte. Ich durfte nur in einer Institution arbeiten, die begleitet wurde von der IV-Stelle. Ich musste mich fügen. Auf meine Frage, in welcher Institution ein Platz für mich frei wäre, wurde das Bürgerspital genannt. Nach telefonischer Anfrage stellte sich heraus, dass in der Weberei ein Platz frei war. Für mich war das wunderbar. Schon als Kind habe ich auf einem kleinen Webstuhl gewoben. Im Erwachsenenalter hatte ich in Rumänien 3 Wochen in einer Weberei gearbeitet. Ich habe alles parat gemacht, dass die Mitarbeiter weben konnten. Ich freute mich sehr, mein Interesse war gross – ich hatte schon Erfahrungen gesammelt in Bezug auf das Weben und machte es gerne. 

4. Wie war die Arbeit in der Weberei für dich?

Am Anfang war ich überfordert. Ich habe in der Weberei begonnen, an 4 Tagen je 2 Stunden zu arbeiten. Ich war damals noch sehr müde. Jeden Monat oder halbmonatlich wurde meine Anwesenheit in der Weberei gesteigert - 4 Tage je 3 Stunden und nun 4 Tage je 4 Stunden. Bei der Arbeit war sehr viel Gedächtnis nötig. Es gibt da sehr komplexe Situationen. Weben heisst ja nicht nur, das Schiffchen von rechts nach links durch die Fäden hindurch zu schiessen. Es kann ein Faden reissen, eine Fadenspannung muss verändert werden. Damit das Endprodukt schön wird, braucht es viel Erfahrung und viel Übung. Ich habe vor allem am grossen Webstuhl gearbeitet. Da musste ich mit Händen und Füssen arbeiten – so wird das Gedächtnis mehr gefordert. Das war eine Herausforderung und ich habe mich dieser gestellt. M war meine Bezugsperson in dieser schwierigen Zeit. Sie hat mir immer neue Aufgaben gestellt – so sind neue Anforderungen dazu gekommen. So lernte ich den Zettel zu machen, Fäden einziehen, aufzubäumen. Dies sind alles Vorgänge, die notwendig sind, damit gewoben werden kann. Ich weiss nun, da ich diese Vorgänge immer wieder gemacht habe, was dazu gehört, bevor man webt. So hat sich das Gehirn regenerieren können und arbeiten können. Es ging immer besser. Ich konnte von einem Tag zum anderen mehr behalten. Ich habe mir die vielen Arbeitsschritte absichtlich nicht aufgeschrieben. Ich habe alles durch das Gedächtnis gemacht – ich wollte es ja trainieren. Manchmal habe ich etwas nachgelesen, aber ich habe mich sehr geärgert, dass ich es nicht behalten konnte. 

5. Wie hast du dich von der IV-Stelle, dem Sozialarbeiter des Betriebs und deiner Bezugsperson in der Weberei begleitet gefühlt?

Mit der IV-Stelle habe ich nicht viele begleitende Gespräche gehabt. In 3 Monaten waren es 4 Gespräche. Mit dem Sozialarbeiter des Betriebs habe ich sehr gut Gespräche geführt. Er war für mich immer da, wenn es notwendig war. Die Gespräche waren zukunftsführend, ich habe mich sehr begleitet gefühlt.

Bei M (MoR) habe ich mich sehr gut aufgehoben gefühlt. Es waren sehr gute Gespräche, sie haben mich immer weitergeführt. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis zu einander.

6. Wie war es für dich, unter all den Menschen zu arbeiten?

Am Anfang habe ich die Menschen, nicht bewusst wahrgenommen. Ich war nur auf meine Arbeit konzentriert. Ich habe die anderen Menschen wie von mir abgegrenzt. Ganz langsam habe ich gelernt, mich für die Menschen ausserhalb von mir zu öffnen.

7. Wie hat dir die Werkstatt auf deinem Weg geholfen?

In der Weberei habe mir die MmR geholfen, wieder den Weg ins Leben zu finden. Ich habe mich langsam wieder geöffnet. Ich habe mich immer sicher gefühlt. Ich habe, Vertrauen gefasst, mich selber zu sein. Sie haben es mir einfach gemacht, wieder auf die Welt zuzugehen. Sie haben gemerkt, dass ich sie ernst nehme und dass ich weiss, wie man miteinander umgeht.

Nach 2 Monaten habe ich angefangen zu singen. Eine Mitarbeiterin hat mit mir gemeinsam damit begonnen. Dann hat es sich ergeben, dass wir jeden Freitag in der Werkstatt gesungen haben. Das war für alle eine schöne Bereicherung. Durch das Singen habe ich auch, den Mut gefunden, mehr Kontakt mit den Menschen um mich herum aufzunehmen. Einer der Mitarbeiter in der Weberei kommt aus dem gleichen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Das hat eine sehr gute Verbindung aufgebaut. Es machte viel Spass und das hat sehr gut getan. Es war für uns beide sehr schön.

Ich habe auch an anderen Orten den Umgang mit MmR gelernt, so ist es mir leichter gefallen, auf die Mitarbeiter zuzugehen. Es haben sich auch Gespräche ergeben und wir hatten gemeinsam viel Spass.

8. Wie geht es für dich weiter?

Im Gespräch mit dem Sozialarbeiter und MK (MoR) habe wir einen Weg gesucht, wie es weitergehen kann. Die IV-Stelle war bereit, mich zu unterstützen, wenn ich eine Institution finde. die mich aufnimmt.

Ab 1. September werde ich bei einer ehemaligen Chefin, in einem „Tagi“, wieder langsam den Einstieg in den Beruf finden. Ich werde ein autistisches 3jähriges Kind in Form einer Einzelbetreuung begleiten. Ich werde mit 3 Stunden pro Tag beginnen. Das Ziel ist es, jeden Tag 4 Stunden zu arbeiten. Ich habe dort geschnuppert und die Mitarbeiter sind toll. Die ehemalige Chefin weiss, dass ich krank war, sie kennt mich schon lange Zeit. Wir sind auch in dieser schwierigen Zeit gemeinsam spazieren gegangen und haben Gespräche geführt.

Ursprünglich war es mein Wunsch, in der Weberei weiterhin als freie Mitarbeiterin an einem Webstuhl arbeiten zu können. Ich habe RZ (Chef) gefragt, aber er hat gemeint: „dass die Werkstatt kein Hobby-Platz sei, sondern ein Ort für MmR“.

Ich habe aber privat einen Platz gefunden, an dem ich 1X pro Monat am Samstag weben kann. So kann ich diese Tätigkeit weitermachen. Ich habe also den Weg gefunden, nun schaue ich, wie er sich weiterentwickelt.

Ich habe etwas Wichtiges in dieser schwierigen Zeit der Neufindung gelernt. Wenn ich die Bedürfnisse ausspreche, dann erhalte ich Hilfe. Es muss aber von mir kommen, ich muss es mitteilen – der IV-Stelle, meiner Bezugsperson. Wenn ich es nicht mitteile, tut sich nichts und verändert sich nichts.

MmR: Mitarbeitende mit Rente

MoR: Mitarbeitende ohne Rente

Interview mit IL von Christine Kuhn

Thema: Berufliche Abklärung in der Kreativwerkstatt

1. Wie bist du zur IV-Stelle gekommen?

Ich war Angestellte in einem Betrieb, hatte dazu aber keinen Beruf erlernt, sondern wurde angelernt. Das Gebäude, in dem ich arbeitete war marode und musste renoviert werden. Geplant war die Renovation für März 2014. Anfang Juni 2013 hatte ich ein paar Tage Ferien, als ich zurück kam erfuhr ich, dass mir gekündigt worden war. Das Datum wurde aber vorgeschoben. Ich hatte nur noch 3 Monate Zeit bis September 2013. Ich kam in grossen Stress, da mir nicht nur die Arbeitsstelle, sondern auch die Wohnung gekündigt wurde. Ich erhielt von Freunden den Tipp, mich doch bei der (RAV) zu melden. Beim Ausfüllen der Formulare konnte ich weder Lehren noch Qualifikationen angeben. Die Kontaktperson fragte mich nach meinen Erfahrungen. Ich habe Erfahrungen in der Arbeit im Restaurant in der Küche oder der Cafeteria. Aber ich habe keine Diplome. Das Leben selbst ist meine Schule gewesen. Ich wäre bereit gewesen, Kurse in vielen Bereichen zu machen, aber ich hätte sie aus der eigenen Tasche zahlen müssen. Dafür aber reichte mein Geld nicht aus. Meine Freunde machten sich Sorgen um mich, da ich wegen der Kündigung an die Wand gedrückt wurde. Eines Tages besuchten sie mich mit dem Psychiater, da sie mir helfen wollten. Ich wurde gegen meinen Willen in die Psychiatrie Liestal eingewiesen und war dort vier Monate stationär. Der Sozialdienst meldete mich bei der IV-Stelle an. Nach dem Aufenthalt in der Psychiatrie kam ich in die Tagesklinik in M. Ende Mai 2014 fiel die Entscheidung, mich bei der ELA anzumelden. Ich kam in ein Abklärungsprogramm. Dort wurden mit mir Tests gemacht, im handwerklichen Bereich, in der Geschicklichkeit und dem Schreiben. Der Tod meines Cousins war eine grosse Belastung für mich, da konnte ich mich nicht mehr auf das Abklärungsprogramm konzentrieren. Die Zeit der Abklärung in der ELA sollte verlängert werden, um mich weiter zu testen. In diese Zeit fiel der Tod meines jüngsten Bruders. Dieses Ereignis warf mich aus dem Gleichgewicht. Ich konnte mich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren. Eigentlich wollte mich meine Kontaktperson krankschreiben lassen. Ich wehrte mich aber dagegen. Von der Betreuungsperson der ELA aus wurde eine andere Möglichkeit gesucht, eine Institution, in der ich mich wohl fühlte. Bei einem Rundgang durch den Betrieb hier fiel meine Wahl auf die Kreativwerkstatt. 

2. Inwiefern hast du dich von der IV-Stelle verstanden gefühlt?

Da ich keine Ausbildung, kein Diplom und keine Qualifikation habe, sitze ich zwischen den Stühlen. Die IV-Stelle kann nichts für mich tun, kann mich nicht an einen Arbeitsplatz weiterleiten.

3. Wie fühlst du dich begleitet von der Kreativwerkstatt?

Es ist für mich sehr gut, in der Kreativwerkstatt zu sein. Ich fühle mich geehrt, dass ich weiterhin hier sein kann. Mir wurde Vertrauen geschenkt, es geht mir wesentlich besser. Ich habe wieder Boden unter den Füssen. Ich darf eigene Sachen machen. Ich fühle mich verstanden und aufgenommen. Die anderen Mitarbeiter haben mich akzeptiert, obwohl sie nicht wussten, warum ich da war. Bei meinem ersten Rundgang durch die Werkstatt hatte ich ein Gespräch mit WB (ehemaliger Chef) und BR (MoR). Ihre Art mir zu begegnen war sehr warmherzig. Die menschliche Wärme war weit vor der Fachkenntnis. In diesem Augenblick war dies sehr wichtig für mich. Ich erhielt einen Platz am Fenster. Ich war in grosser Trauer wegen meinem Cousin und meinem Bruder. Ich konnte Trauerarbeit machen, in dem ich zeichnete. So hatte ich ein wenig Ruhe von den Menschen, die im Raum sassen, da ich mit dem Rücken zu ihnen am Fenstertisch sass. Wenn ich Kerzen ziehe, erhalte ich von MG (MoR) positive Feedbacks. Das ist für mich sehr wichtig. Früher gab es nur Reklamationen. Ich fange an zu akzeptieren, dass dieses Lob ernst gemeint ist. Durch die Tätigkeiten, die ich in einer klaren Struktur hier habe, finde ich Vertrauen, Stabilität. Eventuell werde ich im Februar eine Schnupperwoche in der Kantine machen, eventuell Menschen mit einer Beeinträchtigung das Tablett für das Essen zum Tisch tragen helfen. 

ELA: Elementare Leistung-Abklärung

RAV: Regionales Arbeitsvermittlungszentrum 

MoR: Mitarbeitende ohne Rente 

Interview mit BS von Christine Kuhn

Thema: Berufliche Abklärung der IV

1. Wie bist du zu uns gekommen?

Ich habe eine zweijährige Ausbildung zur Büroassistentin gemacht. Ich habe mehrere Jahre in einem Büro gearbeitet. Ich wurde krank, musste operiert werden und fiel aus dem Gleichgewicht. Die Zeit der Operation und der Therapien hat mir viel Energie genommen. Ich brauchte psychiatrische Begleitung und brauche sie auch heute noch. Ich wurde zur IV angemeldet, da ich nicht die Energie hatte, ins Berufsleben zurück zu kehren. Meine Therapeutin entschied, dass es noch zu früh sei für eine berufliche Massnahme und riet mir, zum Aufbau vor der Abklärung in die Tagesklinik zu gehen. Danach kam ich in ein Programm der IV zur Wiedereingliederung in ein Berufsleben. Im November 2014 kam ich ins Verwaltungsgebäude zu Frau B. und blieb dort 1 Monat. Es stellte sich aber heraus, dass es zu früh war. Ich sollte zuerst im Betrieb hier trainieren, denn ich hatte oft Kopfschmerzen, der Druck war zu gross. So kam ich in die Kreativwerkstatt.

2. Wie hast du die Zeit in der Kreativwerkstatt erlebt?

Die Zeit hier war für mich sehr wertvoll. Ich habe viel gemalt, habe gestrickt, gewoben und genäht. Ich konnte bei mir sein, ohne Angst, ohne Gedanken, ich war einfach frei.

3. Wie hast du die Zusammenarbeit mit deiner Bezugsperson erlebt?

Wir haben zusammen einen Plan nach meinen Interessen erstellt. Ich liebe handwerkliche Arbeiten allgemein. Ich finde es sehr schön, dass man verschiedene Sachen ausprobieren kann. Die kreativen Tätigkeiten haben mir positive Energie geschenkt. Ich mache auch gerne privat handwerkliche Tätigkeiten, sobald ich dafür Zeit habe. Nun war ich drei Monate in der Kreativwerkstatt und war 50% anwesend. Ich konnte mich an meinen klaren Plan halten und hatte begleitende Gespräche mit meiner Bezugsperson. Ich weiss nicht, was nun auf mich zukommt, es ist für mich deprimierend- wird es zu viel für mich sein? Ich werde nun im kaufmännischen Bereich arbeiten. Anfang März werde ich noch 50 % arbeiten, dann wird das Pensum vielleicht erhöht werden. Ich werde sehen, was ich noch brauche, um eine Stelle zu finden.

4. Wie hast du die Zusammenarbeit mit der IV-Stelle erlebt?

Es war soweit okay. Eigentlich wäre ich nur 2 Monate in der Kreativwerkstatt geblieben. Die Mitarbeiter der IV-Stelle haben zugestimmt, dass ich noch einen Monat länger bleiben könnte. Nach der Zeit bei Frau B. hatte ich ein Gespräch mit dem „Case-Manager“ und der IV-Stelle. Nach zwei Monaten in der Kreativwerkstatt, wurde in einem weiteren Gespräch mit „Case-Manager“ und der IV-Stelle, über meine Kopfschmerzen gesprochen, dabei kam heraus, dass ich noch 1 weiteren Monat brauche, um mehr Energien für einen Wiedereinstieg zu haben. Anfang März wird wieder ein Gespräch sein – dann wird entschieden, wie es weitergeht. Für die IV-Stelle steht im Vordergrund das ich wieder integriert werde. Wenn die kaufmännische Arbeit nicht funktioniert und dies für mich zu viel ist, erhalte ich die IV und kann für Stundenlohn in der Kreativwerkstatt arbeiten. Bis dahin muss ich sehen, wie es mit der Begleitung der IV-Stelle weitergeht. Ich lasse mich vom Fluss des Lebens mitnehmen. Wohin er mich führt, weiss ich nicht.