27. April 2016
10.00 Uhr
Thema: Berufliche Massnahme in der Weberei
1. Du bist in einer beruflichen Massnahme – wie bist du zu uns gekommen?
Ich bin über die IV-Stelle in die Kreativwerkstatt gekommen. Es gibt verschiedene Institutionen, die über diese Stelle angefragt werden.
2. Hast du früher einen Beruf erlernt?
Ja, ich war Kleinkindererzieherin.
3. Was ist geschehen, dass eine berufliche Massnahme notwendig war?
Im Dezember 2013 bin ich krank geworden. Die Situation im Beruf war schlimm geworden, es hat mich psychisch krank werden lassen. Mein Gedächtnis war weg – ich vergass alles. Ich merke dies auch heute noch, aber es ist bei weitem nicht mehr so schlimm wie damals. Heute ist es nur in sehr abgeschwächter Form da.
Mein Arzt hatte mich krankgeschrieben und durch das Geschäft wurde ich bei der Taggeldversicherung angemeldet. Nach 3 Monaten nahm die IV-Stelle mit mir Kontakt auf und wir machten den ersten Termin für ein Gespräch ab. Ich habe ihnen erzählt, dass ich im Alltag übe um mein Gedächtnis wieder zu erhalten und das ich es versuche zu trainieren. Ich sagte auch, dass ich gemerkt habe, dass ich Arbeit für das Gehirn brauche. Ich habe damals Freiwilligenarbeit gemacht in der Cafeteria in einem Altersheim. In diesem Gespräch mit der IV-Stelle kam heraus, dass ich diese Arbeit nicht mehr machen durfte, obwohl ich mich dort wohl gefühlt hätte. Ich durfte nur in einer Institution arbeiten, die begleitet wurde von der IV-Stelle. Ich musste mich fügen. Auf meine Frage, in welcher Institution ein Platz für mich frei wäre, wurde das Bürgerspital genannt. Nach telefonischer Anfrage stellte sich heraus, dass in der Weberei ein Platz frei war. Für mich war das wunderbar. Schon als Kind habe ich auf einem kleinen Webstuhl gewoben. Im Erwachsenenalter hatte ich in Rumänien 3 Wochen in einer Weberei gearbeitet. Ich habe alles parat gemacht, dass die Mitarbeiter weben konnten. Ich freute mich sehr, mein Interesse war gross – ich hatte schon Erfahrungen gesammelt in Bezug auf das Weben und machte es gerne.
4. Wie war die Arbeit in der Weberei für dich?
Am Anfang war ich überfordert. Ich habe in der Weberei begonnen, an 4 Tagen je 2 Stunden zu arbeiten. Ich war damals noch sehr müde. Jeden Monat oder halbmonatlich wurde meine Anwesenheit in der Weberei gesteigert - 4 Tage je 3 Stunden und nun 4 Tage je 4 Stunden. Bei der Arbeit war sehr viel Gedächtnis nötig. Es gibt da sehr komplexe Situationen. Weben heisst ja nicht nur, das Schiffchen von rechts nach links durch die Fäden hindurch zu schiessen. Es kann ein Faden reissen, eine Fadenspannung muss verändert werden. Damit das Endprodukt schön wird, braucht es viel Erfahrung und viel Übung. Ich habe vor allem am grossen Webstuhl gearbeitet. Da musste ich mit Händen und Füssen arbeiten – so wird das Gedächtnis mehr gefordert. Das war eine Herausforderung und ich habe mich dieser gestellt. M war meine Bezugsperson in dieser schwierigen Zeit. Sie hat mir immer neue Aufgaben gestellt – so sind neue Anforderungen dazu gekommen. So lernte ich den Zettel zu machen, Fäden einziehen, aufzubäumen. Dies sind alles Vorgänge, die notwendig sind, damit gewoben werden kann. Ich weiss nun, da ich diese Vorgänge immer wieder gemacht habe, was dazu gehört, bevor man webt. So hat sich das Gehirn regenerieren können und arbeiten können. Es ging immer besser. Ich konnte von einem Tag zum anderen mehr behalten. Ich habe mir die vielen Arbeitsschritte absichtlich nicht aufgeschrieben. Ich habe alles durch das Gedächtnis gemacht – ich wollte es ja trainieren. Manchmal habe ich etwas nachgelesen, aber ich habe mich sehr geärgert, dass ich es nicht behalten konnte.
5. Wie hast du dich von der IV-Stelle, dem Sozialarbeiter des Betriebs und deiner Bezugsperson in der Weberei begleitet gefühlt?
Mit der IV-Stelle habe ich nicht viele begleitende Gespräche gehabt. In 3 Monaten waren es 4 Gespräche. Mit dem Sozialarbeiter des Betriebs habe ich sehr gut Gespräche geführt. Er war für mich immer da, wenn es notwendig war. Die Gespräche waren zukunftsführend, ich habe mich sehr begleitet gefühlt.
Bei M (MoR) habe ich mich sehr gut aufgehoben gefühlt. Es waren sehr gute Gespräche, sie haben mich immer weitergeführt. Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis zu einander.
6. Wie war es für dich, unter all den Menschen zu arbeiten?
Am Anfang habe ich die Menschen, nicht bewusst wahrgenommen. Ich war nur auf meine Arbeit konzentriert. Ich habe die anderen Menschen wie von mir abgegrenzt. Ganz langsam habe ich gelernt, mich für die Menschen ausserhalb von mir zu öffnen.
7. Wie hat dir die Werkstatt auf deinem Weg geholfen?
In der Weberei habe mir die MmR geholfen, wieder den Weg ins Leben zu finden. Ich habe mich langsam wieder geöffnet. Ich habe mich immer sicher gefühlt. Ich habe, Vertrauen gefasst, mich selber zu sein. Sie haben es mir einfach gemacht, wieder auf die Welt zuzugehen. Sie haben gemerkt, dass ich sie ernst nehme und dass ich weiss, wie man miteinander umgeht.
Nach 2 Monaten habe ich angefangen zu singen. Eine Mitarbeiterin hat mit mir gemeinsam damit begonnen. Dann hat es sich ergeben, dass wir jeden Freitag in der Werkstatt gesungen haben. Das war für alle eine schöne Bereicherung. Durch das Singen habe ich auch, den Mut gefunden, mehr Kontakt mit den Menschen um mich herum aufzunehmen. Einer der Mitarbeiter in der Weberei kommt aus dem gleichen Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Das hat eine sehr gute Verbindung aufgebaut. Es machte viel Spass und das hat sehr gut getan. Es war für uns beide sehr schön.
Ich habe auch an anderen Orten den Umgang mit MmR gelernt, so ist es mir leichter gefallen, auf die Mitarbeiter zuzugehen. Es haben sich auch Gespräche ergeben und wir hatten gemeinsam viel Spass.
8. Wie geht es für dich weiter?
Im Gespräch mit dem Sozialarbeiter und MK (MoR) habe wir einen Weg gesucht, wie es weitergehen kann. Die IV-Stelle war bereit, mich zu unterstützen, wenn ich eine Institution finde. die mich aufnimmt.
Ab 1. September werde ich bei einer ehemaligen Chefin, in einem „Tagi“, wieder langsam den Einstieg in den Beruf finden. Ich werde ein autistisches 3jähriges Kind in Form einer Einzelbetreuung begleiten. Ich werde mit 3 Stunden pro Tag beginnen. Das Ziel ist es, jeden Tag 4 Stunden zu arbeiten. Ich habe dort geschnuppert und die Mitarbeiter sind toll. Die ehemalige Chefin weiss, dass ich krank war, sie kennt mich schon lange Zeit. Wir sind auch in dieser schwierigen Zeit gemeinsam spazieren gegangen und haben Gespräche geführt.
Ursprünglich war es mein Wunsch, in der Weberei weiterhin als freie Mitarbeiterin an einem Webstuhl arbeiten zu können. Ich habe RZ (Chef) gefragt, aber er hat gemeint: „dass die Werkstatt kein Hobby-Platz sei, sondern ein Ort für MmR“.
Ich habe aber privat einen Platz gefunden, an dem ich 1X pro Monat am Samstag weben kann. So kann ich diese Tätigkeit weitermachen. Ich habe also den Weg gefunden, nun schaue ich, wie er sich weiterentwickelt.
Ich habe etwas Wichtiges in dieser schwierigen Zeit der Neufindung gelernt. Wenn ich die Bedürfnisse ausspreche, dann erhalte ich Hilfe. Es muss aber von mir kommen, ich muss es mitteilen – der IV-Stelle, meiner Bezugsperson. Wenn ich es nicht mitteile, tut sich nichts und verändert sich nichts.
MmR: Mitarbeitende mit Rente
MoR: Mitarbeitende ohne Rente